
Impfnewsletter
Ziel dieser Publikation war es, die impfenden Praxen stets mit den aktuellen Informationen rund um das Thema Corona-Impfung zu versorgen. Der Newsletter bis Mai 2022.
Wir freuen uns sehr über Ihr Feedback! Lob, Kritik und Anregungen senden Sie bitte per E-Mail an die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit unter oeffentlichkeitsarbeit@kvhh.de.
Themenschwerpunkte
- Wie zuverlässig ist die Impfung?
- Stand im Mai 2022
Dirk Heinrich, Cornelius Rau und H.-Peter Scheidel
Hamburg, am 10. Mai 2022Varianten von SARS-CoV-2 haben sich in den vergangenen Monaten als gefährliche neue Erreger erwiesen, deren Evolutionsfähigkeit in dieser Form von vielen nicht vorhergesehen wurde. Das rasche Auftreten der B.1.1.529-Variante ab November 2021, von der WHO als Omikron klassifiziert, gefolgt von weiteren Subvarianten ab Januar/Februar 2022 führte zu einer erneuten Welle von COVID-19-Fällen. Auch unter Omikron war das Infektionsrisiko bei ungeimpften deutlich höher als bei geimpften Personen. Der weiterhin unvollständige Impfschutz in der Bevölkerung hatte entsprechende Auswirkungen auf die SARS-CoV-2-Übertragung und hat in höherem Maße zur Infektionsausbreitung unter Geimpften beigetragen, als allein aufgrund der Kontaktzahlen zu erwarten gewesen wäre.
Einen besonderen Stellenwert hatten dabei Kinder und Jugendliche. Im Februar 2022 fanden sich bei 75 % der Kinder und Jugendlichen (und 60 % der Erwachsenen) in den USA serologische Hinweise auf eine abgelaufene Infektion mit SARS-CoV-2, wobei etwa ein Drittel seit Dezember 2021 erstmals seropositiv geworden war. Der größte Anstieg der Seroprävalenz zwischen September 2021 und Februar 2022 fand in den Altersgruppen mit den niedrigsten Durchimpfungsraten statt. Diese Ergebnisse bestätigen eine hohe Transmissionsrate für die Omikron-Variante, insbesondere bei Kindern.
Einige Omikron-PatientInnen weisen eine „enge“ Immunität auf, die nur gegen die Varianten BA.1 und/oder BA.1.1 wirksam ist. Dies ist wahrscheinlich auf die unterschiedlichen Rezeptor-Bindungsdomän-Mutationen zwischen den Unterlinien BA.1.1/BA.1 und BA.2 zurückzuführen. Die mit dem Auftreten der Omikron-Subvarianten BA.1 und BA.2 beobachtete große Zahl von Reinfektionen ist ein Hinweis darauf, dass BA.2 der natürlichen Immunität entgehen kann. Internationale Daten zeigen, dass Omikron BA.2-Reinfektionen auch kurz nach BA.1-Infektionen auftreten können. Vieles spricht dafür, dass die „natürliche Immunität" nur gegen die Varianten von SARS-CoV-2 wirksam ist, mit der die Erstinfektion erfolgte, jedoch nicht unbedingt gegen zukünftige Varianten.
Fazit: Die Infektion allein ist kein ausreichender Schutz gegen Reinfektionen. Die COVID-19-Impfung vor oder nach einer Infektion (“hybride Immunität“) bietet einen zusätzlichen Schutz gegen schwere Erkrankungen und Krankenhausaufenthalte.
Was Omikron verändert hat
Mit der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 wurden auch viele geimpfte und rekonvaleszente Personen infiziert. Internationale Studien bestätigen übereinstimmend, dass bei Erwachsenen zwei Impfstoffdosen bei der Omikron-Variante nur einen sehr begrenzten Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion bieten und eine Auffrischungsimpfung erforderlich ist, um eine akzeptable Impfeffektivität zu erreichen. Infektionen mit Omikron waren im Vergleich zu Delta mit einem um zwei Drittel geringeren Risiko einer COVID-19-Krankenhauseinweisung verbunden. Nach drei Impfdosen zeigte sich eine zusätzliche Halbierung des Risikos einer symptomatischen Infektion im Vergleich zu ungenügend geimpften Personen.
Die Omikron-Variante wurde als übertragbarer, aber weniger schwer krankmachend als andere SARS-CoV-2-Varianten eingeschätzt. Eine gewichtete Fall-Kontroll-Studie aus Massachusetts, welche Impfstatus, Risikofaktoren, Komorbiditäten und Demographie bei über 130.000 COVID-Patienten untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass die Risiken für Krankenhauseinweisungen und Sterblichkeit in den verschiedenen Zeitperioden der Pandemie nahezu identisch waren. Die Verringerung schwerer Erkrankungen und COVID-19 assoziierter Todesfälle könnte somit vor allem auf den zunehmenden Aufbau der Immunität in der Bevölkerung, insbesondere aufgrund der wirksamen Impfung zurückzuführen sein.
Bei Omikron-Durchbruchsinfektionen wurde eine Verringerung der infektiösen Viruslast nur bei geboosterten, nicht aber bei grundimmunisierten Personen beobachtet. Trotz des verminderten Schutzes vor einer Infektion scheinen Personen nach drei Dosen eines mRNA-Impfstoffs auch bei Durchbruchsinfektionen in hohem Maße vor schwereren Folgen der Infektion geschützt zu sein. Die Wirkung der dritten Impfstoffdosis lässt allerdings nach einigen Monaten nach.
Die dritte Dosis führt zu einem Anstieg und einer Weiterentwicklung der Anti-Rezeptor-Bindungsdomänen-spezifischen B-Gedächtniszellen, weshalb die Auffrischung mit einem Impfstoff, der nicht speziell zum Schutz gegen Varianten entwickelt wurde, auch gegen varianteninduzierte schwere Krankheiten wirksam bleibt. Zellen des Immunsystems und speziell T-Zellen zeigen eine enorme Plastizität, was sich beispielsweise in der Existenz verschiedener Sub-Zellpopulationen manifestiert, die zum Teil sehr charakteristische Effektor-Funktionen, Zytokinprofile und Gewebsspezifitäten besitzen und damit eine Effektivität auch gegen die unter den SARS-CoV-2-Varianten beibehaltenen Epitope zeigen.
Aktuelle Daten zeigen, dass nach der Grundimmunisierung mit inaktivierten Ganzvirusimpfstoffen eine heterologe Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff zu einem verbesserten Schutz führt. Zudem belegen erste Studienergebnisse aus Israel, dass eine zweite Auffrischungsimpfung bei Erwachsenen im Alter von 60 Jahren und älter die Zahl der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle aufgrund von COVID-19 erheblich reduziert, wobei die Rate schwerer Erkrankungen etwa dreimal niedriger ist als in den 3-Dosis-Kohorten. Allerdings ist die Nachbeobachtungszeit der Studie noch sehr kurz.
Fazit: Die Impfung bleibt auch seit Auftreten der Omikron-Variante die sicherste Strategie zur Verhinderung von akuten Komplikationen und Langzeitfolgen wie Post- und Long-COVID nach SARS-CoV-2-Infektionen, einschließlich Krankenhausaufenthalte bei Kindern und Erwachsenen. Die Auffrischung der Impfung wird deshalb für alle infrage kommenden Personen empfohlen, auch für solche mit einer früheren Infektion.
Antikörpernachweis und Impfeffektivität
Für SARS-CoV-2 existiert weiterhin kein sicheres serologisches Korrelat, das als Surrogatmarker für eine Immunität geeignet wäre. Eine Seropositivität für Anti-Nucleocapsid-Antikörper kann nicht als Schutz vor zukünftigen Infektionen angesehen werden. Der Antikörpertiter lässt auch keinen Rückschluss auf eine möglicherweise bestehende zelluläre Immunität zu. Serologische Kontrollen zur Klärung der Notwendigkeit von Booster-Impfungen sind nur in Ausnahmefällen sinnvoll, da die in klinischen Laboratorien verwendeten Testmethoden auf neutralisierende Antikörper häufig keine ausreichende Sensitivität und Spezifität aufweisen. Eine Ausnahme ist die Überprüfung des Impferfolges bei Personen mit Immundefizienz.
Die Bedeutung der Wissenschaft
Impfungen
Die STIKO empfiehlt allen Personen ab 12 Jahren nach erfolgter COVID-19-Grundimmunisierung eine Auffrischungsimpfung gegen COVID-19. Des Weiteren empfiehlt die STIKO besonders gesundheitlich gefährdeten bzw. exponierten Personengruppen nach abgeschlossener COVID-19-Grundimmunisierung und erfolgter erster Auffrischimpfung eine zweite Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff.
Die Impfquote ist nun seit mehreren Wochen fast unverändert. Gemäß dem wöchentlichen RKI-Lagebericht vom 5. Mai 2022 sind weiterhin rund 9,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger noch nicht geimpft.
Derzeit laufen Studien zur Frage, ob zusätzliche Dosen aktueller, angepasster oder neuartiger COVD-19-Impfstoffe erforderlich sein werden, um ein hohes Schutzniveau gegen nachfolgende Wellen von SARS-CoV-2 aufrechtzuerhalten, die durch die Omikron-Variante oder künftige Varianten mit ähnlichem Immunescape verursacht werden. Weitere Impfungen könnten künftig unvermeidlich sein, und zwar für alle Altersgruppen. Impfstoffhersteller testen bereits angepasste Impfstoffkandidaten und demnächst werden die Ergebnisse klinischer Studien mit Omikron-spezifischen Impfstoffen erwartet.
Auch die Impfung von Kindern zwischen 5 bis 11 Jahren hat sich als sicher und wirksam erwiesen, wobei in Deutschland eine allgemeine Empfehlung der STIKO für diese Altersgruppe erst in den nächsten Wochen erwartet wird. Die bisherige deutsche Beschränkung auf bestimmte Risikogruppen ist insofern problematisch, als die Liste der aufgeführten Grunderkrankungen sehr allgemein gehalten ist. Studien zeigen, dass z.B. beim kindlichen Asthma die Impfindikation von der Intensität der vorausgegangenen Therapie abhängig ist. Diese Komplexität lässt Eltern und Kinderärztinnen und -ärzte zögern, die Impfindikation großzügig zu stellen. Hinzukommt, dass nach neueren Daten auch bei Kindern in diesem Alter aufgrund nachlassender Impfeffektivität eine Auffrischung erforderlich ist.
Kleinkinder sind nach wie vor ungeschützt, da bislang weder in den USA noch in der EU ein Impfstoff für Kinder unter fünf Jahren zugelassen wurde. Obwohl das Virus für Kinder im Allgemeinen ein geringeres Risiko darstellt als für Ältere, schätzt die American Academy of Pediatrics, dass bis zu 1,5 % aller Coronavirus-Fälle bei Kindern zu einem Krankenhausaufenthalt führen. Während des Anstiegs der Omikron-Variante wurden Kinder unter fünf Jahren in den USA etwa fünfmal häufiger ins Krankenhaus eingeliefert als während des Höhepunkts der Delta-Variante.
Während der Hersteller BioNTech voraussichtlich im Juni 2022 die Zulassung seines Impfstoffkandidaten für Kinder unter fünf Jahren beantragen wird, hat Moderna bereits am 28. April 2022 den Notfall-Zulassungsantrag eines Impfstoffs für Kinder zwischen 6 Monaten bis 5 Jahren bei der Food and Drug Administration (FDA) eingereicht. Moderna testet derzeit auch Auffrischungsdosen für alle pädiatrischen Kohorten. Die FDA möchte die Zulassung der Impfstoffkandidaten von Moderna und BioNTech zur gleichen Zeit vornehmen statt sie getrennt zu prüfen, um Eltern nicht mit einer gestaffelten Einführung von zwei Impfstoffen mit unterschiedlichen Dosierungsschemata zu verunsichern.
Surveillance
Mit den herkömmlichen Methoden der Krankheitsüberwachung werden längst nicht mehr alle COVID-19-Fälle erfasst, da einige nur mild symptomatisch verlaufen und daher nicht diagnostiziert oder nicht gemeldet werden. Da der Bevölkerungsanteil, welcher über SARS-CoV-2-N-Antikörper verfügt, in Deutschland nicht bekannt ist, könnte die systematische Überwachung von SARS-CoV-2 im Abwasser die Überwachung der Inzidenz von COVID-19 auf Bevölkerungsebene verbessern, damit auch regional neue Ausbrücke erkannt werden. Das nationale Pilotprojekt zur „systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 im Abwasser“ wurde im April 2022 vom RKI gestartet.
Sequenzierung
Das Risiko durch künftige Varianten wird als hoch eingeschätzt. Die WHO hat alle betroffenen Regionen der Welt aufgefordert, sich an der Sequenzierung von SARS-CoV-2-Infektionen zu beteiligen.
Über die neuen besorgniserregenden Varianten liegen erste Berichte aus verschieden Ländern vor, neben Südafrika auch aus den USA, England und Dänemark. Derzeit werden in der SARS-CoV-2-Überwachung drei neue Varianten besonders intensiv beobachtet: Omikron BA.4 und BA.5 in Südafrika und BA.2.12.1 in den USA.
In Südafrika wurde zunächst ab Januar 2022 eine schleichende Zunahme von BA.4 und BA.5 bemerkt, anschließend seit Mitte April eine exponentielle Zunahme mit einem R-Wert von ca. 1,5. Die USA bewegen sich auf eine BA.2.12.1-Welle zu, in deren Rahmen der Anteil dieser Variante auf über 40 % der neuen Fälle angestiegen ist und BA.2 durch eine erhöhte Infektiosität schnell verdrängen könnte. BA.2.12.1 unterscheidet sich in der Sequenz deutlich von BA.2 und scheint einen Übertragungsvorteil von 20 bis 30 % gegenüber BA.2 zu besitzen.Erste Untersuchungen der zwei neuen Unterlinien BA.4 und BA.5 in Südafrika weisen erkennbare Veränderungen gegenüber BA.1 auf, darunter auch Mutationen in der Spike-Rezeptor-Bindungsdomäne. Die niedrigen absoluten Neutralisierungswerte für BA.4 und BA.5, insbesondere in der ungeimpften Gruppe, scheinen keinen Schutz vor einer symptomatischen Infektion zu bieten. Dies könnte bedeuten, dass sowohl BA.4 als auch BA.5 aufgrund der Neutralisierungsflucht das Potenzial hat, eine neue Infektionswelle in Südafrika auszulösen. Daten zur Immunität nach BA.2 Infektionen liegen noch nicht vor, da in Südafrika nur wenige Infektionen mit BA.2 festgestellt wurden.
Das weltweite Auftreten von neuen Varianten verdeutlicht die Bedeutung einer genomischen Überwachung. In Deutschland beträgt der Anteil mittels Gesamtgenomsequenzierung untersuchter SARS-CoV-2-positiver Proben aktuell 0,8 %. Um die Prävention und Behandlung effektiv steuern zu können, muss die Ausbreitung der Varianten jedoch gezielt erkannt werden. Die zurückhaltende Genotypisierung bzw. Sequenzierung in Deutschland sollte daher überdacht werden.
Zusammenfassung
Die Entwicklung, Herstellung und Verabreichung von Impfstoffen während der COVID-19-Pandemie ist das Ergebnis einer nie dagewesenen internationalen Kooperation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Ärztinnen und Ärzten, öffentlichen Gesundheitsexpertinnen und -experten sowie Impfstoffherstellern.
Die Hoffnung, eine Herdenimmunität durch Impfung und Infektion zu erreichen, hat sich durch große Impflücken in der Bevölkerung und die zunehmende Übertragbarkeit neuer bedenklicher SARS-CoV-2-Varianten als trügerisch erwiesen. Es erscheint unrealistisch, das Virus durch die derzeitigen Impfstoffe komplett eindämmen zu können. Dennoch hat die Wirksamkeit der Impfstoffe viele Gesundheitssysteme vor dem Kollaps bewahrt, auch wenn unter Omikron neben abgeschwächten Verläufen auch Durchbruchsinfektionen beobachtet wurden.
Die durch eine uneinheitliche Kommunikation der Politik und organisierte Desinformationen in den sozialen Medien entstandene Anti-Impfstimmung hat in Deutschland bedauerlicherweise zu einer mangelhaften Akzeptanz der für alle leicht verfügbaren und nebenwirkungsarmen mRNA-Impfstoffe geführt. Dies hatte nicht nur nachteilige gesundheitliche, sondern auch gravierende wirtschaftliche Folgen.
WHO-Notfallkoordinator Mike Ryan bemerkte im April 2022, dass es „sehr kurzsichtig sei, zu denken, dass das individuelle Risiko einer Ansteckung wegen weniger gemeldeter Infektionen zurückgegangen ist.“ Es ist derzeit davon auszugehen, dass es spätestens im Herbst erneut zu einer verstärkten Krankheitsübertragung in den nicht ausreichend geimpften oder geboosterten Teilpopulationen kommen wird. Auch muss befürchtet werden, dass mit zunehmender Vermischung von Geimpften und Ungeimpften die Ansteckungsrate durch Varianten auch bei Geimpften durch den Kontakt mit nicht ausreichend Geimpften wieder zunehmen wird.
Von politischer Seite wurde die Ständige Impfkommission jetzt aufgefordert, mit Blick auf den Herbst eine zweite Auffrischungsimpfung für alle zu prüfen. Die Auswirkung der Impfung auf die erwartete Krankheitsdynamik im Herbst wird jedoch wesentlich von der Verbreitung neuer Virusvarianten und der Effektivität der bis dahin erwarteten neuen Impfstoffen abhängen. Trotz aller Unwägbarkeiten bleiben die COVID-19-Impfstoffe das wichtigste Werkzeug im Kampf gegen die Pandemie.
Weitere Informationen
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte per Mail an: oeffentlichkeitsarbeit@kvhh.de
Die bisherigen Inhalte der Corona-Impf-Newsletter können Sie einsehen unter:
https://www.kvhh.net/de/corona-informationen-fuer-praxen/impfung-gegen-sars-co-v-2/impf-newsletter.htmlVerabreichte Impfdosen nach Altersgruppe pro Woche in Hamburg
COVID-19 Impfdashboard für Hamburg
https://www.impfdashboard.hamburg